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Die Amselschule

Tau hat die Wiesen benetzt, und wie Diamanten glitzern die Tropfen an den Halmen im Sonnenlicht. Vom obersten Zweig des Apfelbaumes begrüßt die Amselmutter den jungen Tag. In der Astgabel, in dem unter grünen Blättern versteckten Nest, drängeln sich ihre drei Jungen. Verschlafen blinzeln sie ins helle Licht. „Hunger!“ schreit Lümmel, der Älteste. „Ich will drei fette Würmer für mich allein!“ „Und ich“, schreit Schlingel und dehnt sich in seinem braunen Pyjama, „ich will mein Frühstück ans Bett!“„Und ich …“ „Du bleibst, wo du bist, Schussel!“ fordern die zwei Älteren. „Wir sind groß, wir brauchen mehr Platz!“„ …habe Hunger!“ piepst der Jüngste. „Du musst warten, Schussel“, bestimmen die Brüder. „Und warum?“ piepst der Jüngste. „Weil du der Kleinste bist“, sagt Lümmel. „Und Kleine müssen immer warten.“ „Aber ich…“„Und ruhig musst du auch sein!“, schimpft Schlingel. Wie sein älterer Bruder sperrt er schon mal den Schnabel weit auf. Aber  die Amselmutter kommt nicht wie sonst mit einem Wurm im Schnabel angeflogen, um sie zu füttern. Auch der Amselvater nicht. Er wirft nur einen scharfen Blick auf seine Brut. „Macht die Schnäbel wieder zu“, sagt er und schnipst ein loses Federchen von seinem schwarzen Anzug. „Es wird Zeit für eure Schule. Also raus aus den Federn, wenn ihr Frühstück haben wollt.“    Lümmel und Schlingel plustern sich auf. Wie das Fliegen geht, haben sie ja schon geprobt. Am Rand des Nestes breiten sie die Flügel aus und flattern nach unten auf die Wiese. Schussel zögert noch. Er schaut nach unten und traut sich heute nicht so recht. „Keine Gefahr“, trällert die Amselmutter von oben. Der Amselvater spitzt schon ungeduldig seinen gelben Schnabel. Schussel sieht es. „Nicht wieder pieken!“ schreit er und stürzt sich flugs den anderen hinterher. Wachsam beobachtet der Amselvater die Wiese unter dem Apfelbaum. Leichter Wind läßt die Grasspitzen erzittern und Frau Glockenblume verabschiedet sich nickend von einem gelben Schmetterling. Beruhigt richtet der Amselvater die glänzenden Augen auf seine Jungen. „Lektion eins – das richtige Laufen!“ sagt er streng. „Ich mache es euch vor, also aufgepaßt!“ Er trippelt los, schnell und schön gleichmäßig, so wie stetig fallende Regentropfen. Weiter vorn bleibt er stehen und schaut auf das Gras zu seinen Füßen. Da! Ein dicker Wurm ringelt sich aus dem Boden. Er stutzt, hatte er sich doch eingebildet, es würde regnen. Kopfschüttelnd wollte er wieder abtauchen, da fühlt er sich unversehens gepackt. „Ausgerechnet heute habe ich schon was anderes vor“, jammert er und ringelt sich vor Schreck. „Entschuldige“, meint der Amselvater, „aber ich brauche dich nur mal kurz für den Unterricht.“ Er zerrt den Ärmsten ans Sonnenlicht, damit seine Jungen ihn sehen können. Dann lässt er ihn wieder auf die Erde fallen, in die der Wurm sich schnell verkriecht. Erstaunt schauen die Jungen zu. „Schade um den Braten“, mault Lümmel. „Den hätte er mir geben können.“ „Den nächsten kriege ich!“ behauptet Schlingel.„Oder ich“, piepst Schussel. „Du bist das Nesthäkchen“, sagen Lümmel und Schlingel. „Du hast gefälligst zu warten.“ Sie zwitschern vergnügt und lassen den kleinen Bruder einfach stehen. Schussel lässt das Köpfchen hängen. Er hat auch Hunger. Weiter vorn wartet der Amselvater auf seine Jungen. „Was stellt ihr euch so dumm an? Habt Ihr noch immer nicht kapiert, wie das geht?“ Und noch einmal führt er die Lektion vor: Trippeln … warten bis ein Regenwurm nach dem Wetter sieht …dann zupacken. Als der Amselvater auch den nächsten Wurm wieder fallen lässt, schütteln Lümmel und Schlingel die Köpfe. „ Warum flutscht Papa jeder Wurm wieder aus dem Schnabel?“ fragt Lümmel ratlos. „Mir knurrt der Magen“, mault Lümmel. „Ich probiere es jetzt mal selbst.“ Auch Schussel wundert sich. Papa hat aber ein Pech heute, denkt er und schaut den Brüdern zu wie sie hinter Papa über die Wiese trippeln, nach einer Weile ein Frühstück aus dem Boden ziehen und es hungrig verschlucken. Ach, so geht das, staunt Schussel und eilt unbeholfen hinterher. Es ist schwierig, bei so viel Trippeln das Gleichgewicht zu halten. „Es regnet, ihr Würmer“, fiepst er dabei. „Habt ihr da unten das verstanden?“ Die Glockenblume über ihm schüttelt den Kopf. Sie glaubt nicht, was sie hört, denn wenn es regnet, warum wird sie dann nicht nass? Plötzlich ertönt von oben der alarmierende Ruf der Amselmutter: „Sperber in Sicht!“ Erschreckt heben die Jungen die Köpfe. Mitten aus der Sonne heraus schiesst pfeilschnell ein drohender Schatten auf sie zu. „Rasch auf den Baum!“ befiehlt der Amselvater. „Zwischen dem Laub seid ihr in Sicherheit!“ Eiligst flattern Lümmel und Schlingel mit ihm auf einen der belaubten Äste. Nur Schussel steht noch auf der Wiese. Er hat die Flügel ausgebreitet, doch vor lauter Angst versagen sie ihren Dienst. Die Amselmutter sieht das und sie stürzt sich von oben mutig in den Wind. Im Sturzflug kreuzt sie die Flugbahn des Feindes. Mit kraftvollen Flügelschlägen umkreist sie ihn und lenkt ihn so von ihren Jungen ab. „Zieh – zieh – zieh – Leine!“ ruft sie dabei. Sie lockt ihn von Süden nach Osten und von Norden nach Westen, bis der Sperber nicht mehr weiß, wo oben und unten ist und was er eigentlich wollte. Völlig verwirrt fliegt er wieder fort. Gebannt hat Schussel zugesehen. „Autsch!“ schreit er, weil Papas gelber Schnabel ihn piekt. Mit hängenden Flügeln muß er sich die Ermahnung anhören, sich ja nicht mehr so weit von den anderen zu entfernen. Gehorsam trippelt er hinter dem Amselvater her. Auf einmal stolpert er über etwas. „Regnet es?“ fragt da jemand. „Morgen vielleicht“, zwitschert Schussel und zieht - hauruck - den dicken Wurm aus der Erde. Das Frühstück schmeckt ihm. Und gleich darauf entdeckt er einen zweiten Wurm – und einige Trippelschritte weiter sogar einen dritten, ganz besonders dicken. Seine Brüder sitzen noch immer auf dem Ast.  „Alle Achtung!“ staunt Lümmel. „Hätte nie gedacht, dass der Kleine so mutig ist!“ „Und die fettesten Regenwürmer findet“, staunt auch Schlingel. „Du, wenn wir noch länger warten, läßt Schussel uns nur noch so dünne Dinger übrig!“ “Worauf warten wir dann noch?“ Sie verlassen ihr Versteck, und dieses Mal geht es zu dritt gemeinsam kreuz und quer über die Wiese. Der Amselvater sichert nach allen Seiten, doch niemand stört sie. Über ihnen segelt nur eine weiße Wolke am blauen Himmel. Die alte Nachbarkatze schläft lieber im Heu und ein gelber Schmetterling schaukelt auf dem roten Klee.  Eigentlich ist Schussel müde. Er läuft aber tapfer mit, weil die Brüder ihn wie einen Großen in ihre Mitte nehmen. Dafür überlässt er ihnen auch den einen oder anderen Wurm, denn satt ist er eigentlich auch. Als die Schatten der Grashalme länger werden, wird es langsam Schlafenszeit. Vorsorglich schickt der Amselvater seine Jungen in ihr Nest. „Trödelt nicht“, sagt er, „denn ihr wißt ja schon: Weicht die Sonne kühlem Reif, werden euch die Flügel steif.“ Umsichtig wartet er im kühlen Gras, bis alle Drei oben in der Astgabel in ihrem Nest gelandet sind. „Ich habe eben noch einen viel zu fetten Wurm verschluckt“, meint Lümmel und streckt sich. „Und ich habe vorhin einen ganz dicken Wurm geschluckt“, erzählt Schussel eifrig. „Aber meine waren dafür viel, viel länger“, prahlt Schlingel und plustert sich auf. „Mach dich nicht so breit“, rügt Lümmel. „Aber mein Pyjama kneift doch“, protestiert Schlingel. „Dann zieh den Bauch ein“, fordert Lümmel. „Schussel braucht jetzt mehr Platz!“„Nun schlaft endlich“, zirpt die Amselmutter. „Morgen in der Frühe wartet ein neuer Schultag auf euch.“Im letzten Strahl der untergehenden Sonne schwingt sich der Amselvater auf die Spitze der Tanne.Aus voller Kehle singt er das Abendlied. Weit über sein Revier hinaus erklingt die wunderschöne Melodie. Und alle können hören, wie groß und klug und geschickt alle seine Jungen schon sind.

Autorin: Cora Schumacher

 

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